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Stur statt Kultur

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Liebe Dresdnerinnen und Dresdner, liebe Kulturschaffende und -interessierten, liebe Mitmenschen,

es ist wieder einmal so weit, eine neue Verschärfung der Straßenkunstregulierung in der werdenden „Kulturhauptstadt“ Dresden steht zur baldigen Abstimmung. In Konsequenz einer eingebrachten Petition gegen die Belästigung durch Straßenkunst hat sich die Stadt, vertreten durch den Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert, vergangenen Herbst entschieden eine weitere Novelle für die Straßenkunst durchzusetzen. Hierbei wurden auch diesmal die Künstler von offizieller Seite in keinster Weise eingebunden oder auch nur informiert. Daher auch diesmal ein Fließtext erhöhter Länge, da einiges zusammen kommt.
Wir hoffen ihr bleibt bis zum Ende bei uns und seid noch nicht zu frustriert mit dem Thema, wie einige unsere Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter. Und manchmal selbst wir….

Dabei beginnt das Begründungsschreiben Herrn Hilberts durchaus positiv:

Die neue Regelung zur Ausübung von Straßenkunst und akustisch wahrnehmbarer Straßenkunst hat sich bewährt. Sie führte zu einem Rückgang der Beschwerdelage. Die Bürgerinnen und Bürger erkennen grundsätzlich die Neuregelung an und haben mehr Verständnis für die Ausübung von Straßenmusik und akustisch wahrnehmbarer Straßenkunst.

So weit, so naja. Denn tatsächlich ist die Straßenkunst insgesamt stark zurück gegangen, da die eingesetzten Regelungen derart stark einschränken, so dass viele Künstler gar nicht mehr oder nur selten in die Stadt kommen. Nicht abzustreiten ist auch, dass sich andere Künstler mit der momentanen Gesetzeslage gut arrangiert haben und/oder die Fehler im Buchungssystem sowie die weiterhin mangelhafte Kontrolle auszunutzen wissen.

Trotz allem scheinen die Einschnitte den Beschwerdeführern nicht weit genug zu gehen, denn:

Es ist jedoch zu verzeichnen dass Beschwerden wegen der mit der […] Straßenkunst verbundenen Lautstärke kaum zurückgegangen sind und in letzter Zeit wieder ansteigen.

Soll heißen: Den Beschwerdeführern, denen es vorher zu viel war, ist es immer noch zu viel, trotz aller Verschärfungen der letzten Jahre. Und da der Sommer 2018 auch noch besonders warm und lang war, gab es wohl auch mehr Beschwerden in dieser Hauptsaison. Weshalb dann im Herbst auch gleich die Novelle beschlossen wird, wie auch schon vorangegangene Beschlüsse zur Straßenkunstsatzung.

Die angedachten Verschärfungen sind schwerwiegend und als mindestens so einschneidend zu sehen wie die letzte Novellierung von 2017 (siehe Alter Wein in neuen Schläuchen).

In einem Teil der Änderung soll der Spielbereich Nummer 4, zwischen Pragerstraße 1a und 3, gänzlich geschlossen werden. Vor allem da der dort neu entstandene Gebäudekomplex viele Wohnparteien enthält, so Oberbürgermeister Hilbert in seiner Erklärung. Und man kann Verständnis dafür haben, dass Anlieger der durchaus schmalen, betroffenen Passage sich belästigt fühlen da die Architektur einen natürlichen Verstärker darstellt.

Als tatsächlichen Durchbruch für die Gegner der Straßenkunst ist jedoch die Entscheidung zu sehen, zukünftig jegliche elektronische Verstärkertechnik zu verbieten. Wie in der Vergangenheit wird hierbei vor allem die übermäßige Lautstärke einiger Künstler und das akustische Überlappen von Darbietungen als Argument angeführt. Diese Änderung war schon vor 5 Jahren Ziel vieler Befürworter einer starken Einschränkung der Freiheit der Straßenkünstler. Hierbei wird Belästigung gleichgesetzt mit Lautstärke und diese mit elektronischen Verstärkern.

Tatsächlich jedoch hat unsere Initiative schon damals an Hand der Beschwerdestatistik zeigen können, dass die gefühlte Belästigung in großen Teilen durch Künstler verursacht wird die keine oder nur geringe elektronische Verstärkung nutzen – wie bspw. Opernsänger, größere Musikergruppen oder auch schlicht Künstler die an den oben bereits genannten akustisch vorteilhaften Standorten spielen.

Ein weiteres Kernargument gegen das Lautsprecherverbot war und ist auch die Notwendigkeit derselben für Performancekünstler. Von Tanz- über Licht- zu Feuer- und Zirkusshows. Jegliche Kunst, die musikalische Untermalung nutzt ohne sie selbst herstellen zu können. Sie ist mit einem Verbot von Verstärkern gänzlich von Dresdens Straßen verbannt.

In der Konsequenz wurde das Lautsprecherverbot verworfen und bis zur aktuellen Debatte seitens der Stadt auch nicht mehr aufgenommen.

Was die akustische Überschneidung von verschiedenen Künstlern anbelangt stimmen wir zu, dass es hierbei gehäuft zu kritischen Situationen kommt. Speziell wenn die betroffenen Künstler sich nicht für Kommunikation sondern Konfrontation entscheiden. Doch da auch hier nicht nur Künstler mit Verstärkertechnik betroffen sind, wird ein Verbot in diese Richtung nichts am Problem ändern.

Und auch hier haben wir als Initiative schon 2017 darauf verwiesen, dass es an einigen Stellen zu starken Überschneidungen im Einflussbereich der Künstler kommen wird, wenn man die Spielbereiche nicht weiter auseinanderlegt und mehr die lokalen Gegebenheiten in entsprechende Überlegungen einbindet. Wir stießen auf taube Ohren.

Nun soll die Lösung für die inhärenten Probleme einer schlecht gemachten und noch schlechter kontrollierten Regelung ein weiterer Tiefschlag für die Kunstfreiheit sein. Ein Satz aus dem Begründungsschreiben Herrn Hilberts gibt ein gutes Bild des Kunstverständnisses der Verantwortlichen:

Es ist ausreichend wenn die künstlerische Darbietung innerhalb des Spielbereiches wahrgenommen werden kann.“ (Mit Spielbereich sind hier die ca. 10-15m² gemeint, durch die ein Auftrittsort in der aktuellen Satzung definiert ist).

Mir ist es als betroffener Straßenkünstler nicht möglich in diesem Statement keine absolute Geringschätzung meiner Arbeit und der meiner Kollegen zu sehen. Sie fällt in die gleiche Kategorie wie die Äußerung vom damaligen Bürgermeister für Kultur in Dresden, der 2015 sagte er sehe „die Frage der Straßenkunst keinesfalls in seinem Aufgabenbereich, weshalb er sich nur unter Druck überhaupt mit dem Thema beschäftige“.

Man möchte uns Straßenkünstlern also einen Öffentlichkeitsbereich von wenigen Quadratmetern zugestehen, den wir von jetzt an nicht nur räumlich, sondern auch akustisch nicht mehr verlassen sollen. Im nächsten Schritt müssen Künstler vielleicht auch einen Vorhang mitbringen, damit sich niemand durch deren Erscheinung belästigt fühlt.

Natürlich ist uns nicht bekannt ob Herr Hilbert in den Genuss kultureller Veranstaltungen kommt. Sollte dem so sein würden wir uns freuen wenn er uns eine Kunstform oder eine Show nennt bei der Darbietung, Backstage und Zuschauerraum auf 10m² Straße passen. Das Ganze dann leicht portabel, denn wir dürfen ja nicht länger an einem Punkt bleiben. Und Musik aus der Büchse darf da aber bitte auch nicht beteiligt sein.

Und die wichtigste Bedingung zum Schluss, die gerne vergessen wird:

Passanten müssen es sehen wollen und können. Und bereit sein dafür Geld zu geben. Denn auch Straßenkünstler unterliegen finanziellen Zwängen und machen das Ganze nicht ausschließlich zum persönlichen Vergnügen. Und ein Jeder darf sich auch fragen welche Qualität man in der Straßenkunst erwarten kann, wenn hauptsächlich Freizeit- und Bettelmusikern Raum geboten wird.

Es bleibt festzuhalten dass die Stadt alle bisherigen Gesetzesänderungen mit der Begründung der Lärmbelästigung gerechtfertigt hat. Alle Maßnahmen zielten darauf ab, in dieser Richtung eine Verbesserung der Beschwerdelage herbeizuführen. Dass Herr Hilbert von einem Erfolg der Regelung spricht um im nächsten Absatz darauf zu verweisen dass der Grund für die Gesetzesverschärfung unverändert weiterbesteht, kann man nur als Eingeständnis des Scheiterns verstehen. Und anstatt nun endlich einen neuen Ansatz zu suchen, in Kooperation mit allen Beteiligten, doktert man an einer fehlgeschlagenen Idee herum. Auf Kosten der Kunstfreiheit und der kulturellen Vielfalt im öffentlichen Raum Dresdens.

Und zum Schluss noch eine positive Veränderung- mit negativer Begründung. Die Nutzung von Tieren zur Straßenkunst soll verboten werden. Hauptsächlich aus dem schönen Gedanken heraus, dass wir Armut aus der Stadt vertreiben können indem wir Arme Menschen von der Straße vertreiben – denn angeblich werden Tiere vorrangig von Bettlern eingesetzt, so Hilbert. Wir wüssten gerne woher er dieses Wissen hat, begrüßen aber jeden Schritt in Richtung weniger Tiernutzung, speziell in der Kunst.

Auch in dieser Runde des alten Spiels „Dresden bleibt stur“ werden wir uns bemühen die Straßenkunst in Dresden zu verteidigen und so offen wie möglich zu halten. Leider war der bisherige Entscheidungsweg nicht öffentlich – und von Entscheidern angesprochen wurden wir leider auch nicht. Es gibt also nur wenige Gelegenheiten zu denen wir uns überhaupt noch einbringen können, wie beispielsweise die Stadtbezirksbeiratssitzungen Neustadt und Altstadt, am 28. und 29. Januar. Dort werden wir Redezeit beantragen und versuchen, zumindest einen Aufschub zu erwirken um die Debatte am Ende vielleicht doch mit zu gestalten.

Über weitere Aktionen halten wir euch natürlich auf dem Laufenden und freuen uns selbstverständlich auch über eure Unterstützung und eure Ideen.


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